Essays

Andrej Kupetz über Günter Kupetz

Die Gestalterpersönlichkeit Günter Kupetz.

Dies ist ein umfassender Überblick über das gestalterische Werk des Designers Günter Kupetz. Gleichzeitig porträtiert es die Entwicklung des Industriedesigns in Deutschland. In seiner beruflichen Laufbahn reflektiert Kupetz wie kaum eine andere Gestalterpersönlichkeit seiner Zeit die Gründerstimmung einer Disziplin in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund der völlig veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Kontexte dieser Zeit löst sich Kupetz und mit ihm eine Generation junger deutscher Gestalter von dem durch das Bauhaus handwerklich geprägten Bild  des Künstlers in der Industrie, beteiligt sich am internationalen Dialog um eine zeitgemäße Industrieform und kreiert schließlich den Beruf Industriedesigner in Deutschland. Dabei beginnt auch Kupetz als Künstler. Der Meisterschüler von Bernhard Heiliger entschließt sich nach ersten Erfolgen in der Bildhauerei zur Mitarbeit bei der WMFAG in Geislingen/Steige. Er wird Atelierleiter und entwirft in den folgenden Jahren für die verschiedenen Sparten des Unternehmens hunderte Produkte, die auch international hohe Beachtung finden. Auf den Weltausstellung in Brüssel und der Mailänder Trienale 1957 ist Kupetz mit seinen Arbeiten vertreten, ebenfalls finden einige seiner Entwürfe Eingang in die Sammlung des Museums of Modern Art in New York.

Zeitgeist, Berufsbild und Berufsethik des Gestalters.

Kupetz’ aus der Bildhauerei entwickelten organisch-skulpturalen Formen treffen den Zeitgeschmack. Sie stehen für eine optimistische, zukunftsorientierte Moderne, die in diesen Jahren immer populärer wird und die sich mit wachsendem Wohlstand immer mehr Menschen leisten können. Try your luck with australia pokies no deposit bonus. Vor dem Hintergrund seiner Erwerbstätigkeit in der Industrie verdichtet sich bei Kupetz der Wunsch, seine Arbeit in einen Kontext einzuordnen und seiner Tätigkeit den Status einer eigenständigen Berufsdisziplin zu verleihen. Zunehmend beschäftigen ihn Fragen des Berufsbildes und der Berufsethik des Gestalters.

Berufsbild »industrial designer« und die Gründung des VDID.

Er wird Mitglied im Deutschen Werkbund, sucht Kontakte zu nationalen und internationalen Kollegen. Unter dem Einfluss des 1. Internationalen Kongresses für Formgebung, organisiert vom Rat für Formgebung 1957 in Darmstadt und Berlin, und dem von dem Briten Sir Paul Reilly entwickelten Berufsbild des »industrial designer« ist Kupetz 1959 Mitgründer des Verbandes der deutschen Industrie Designer (VDID), des ersten berufsständischen Verbandes der Industriedesigner.

SELBSTÄNDIGKEIT UND LEHRE.

Konsequenterweise führt ihn das gelebte Berufsbild Industriedesigner in Deutschland in die Selbstständigkeit und schließlich in die Lehre. Als Dozent und Professor erst in Kassel, dann in Berlin will er das neue Berufsbild in die Ausbildung übertragen und in der Praxis überprüfen.

Über 1000 Produkte, anonyme Massengestaltung und höchstmögliche Qualität.

Wenn man Kupetz gestalterisches Werk einzuordnen sucht, dann bildet der Massenmarkt, in dem es zunächst um die Deckung von Konsum-Grundbedürfnissen (Möbel, Gebrauchswaren, Geräte des täglichen Bedarfs) die gesellschaftliche Ausgangslage seiner Tätigkeit. Bereits zum Ende seiner gestalterischen Tätigkeit für die Industrie hat sich dieser Kontext grundlegend gewandelt.

Seit Anfang der 1970er Jahre beginnt sich der Markt in Deutschland zu differenzieren. Neue Bedürfnisse der Konsumenten treten in gesättigten Märkten in den Vordergrund. Repräsentation, Selbstverwirklichung, Identifikation, Hedonismus bilden jetzt den Mittelpunkt bedürfnisorientierter Gestaltung.

Kupetz hat weit über 1.000 Produkte entworfen. Darunter Metallwaren, Glas, Schmuck, Verpackungen, Möbel, Investitionsgüter, Maschinen.

Die Mineralwasserflasche der deutschen Brunnengesellschaft und das erste Tastentelefon der AEG Telefunken.

Einige seiner Entwürfe, wie die Mineralwasserflasche für die deutsche Brunnengesellschaft, für die er 1982 mit dem Bundespreis Gute Form geehrt wurde, sind millionenfache Bestseller geworden, die bis heute im Einsatz sind. Andere, wie viele seiner Hohlwaren für die WMF oder das erste Tastaturtelefon für AEG Telefunken stellten auf ihrem Gebiet echte Designinnovationen dar.

Die Aktualität vieler Entwürfe durch formal herausragende Qualität.

So umfangreich und vielschichtig sich das Werk Günter Kupetz’ entwickelt hat, so ist es gleichzeitig nur im industriellen Kontext denkbar. Die Gestaltung anonymer Massenprodukte als eine gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, die mit der höchstmöglichen Qualität gelöst werden muss, hat seine Arbeit geprägt. Mit der Auflösung des von Konsum-Grundbedürfnissen der Menschen bestimmten Massenmarkts hat Kupetz den seine Arbeit prägenden Kontext verloren. Er hat dies nicht bedauert, aber erkannt, dass seine Auffassung des Industrial Designs heute eine historische ist.

Dass gleichsam viele seiner Entwürfe heute noch aktuell erscheinen, ist dem Umstand ihrer herausragenden formalen Qualität geschuldet.

About Andrej Kupetz

Andrej Kupetz (*1968) war von 1999 – 2020 Hauptgeschäftsführer des Rat für Formgebung, Frankfurt am Main. Er studierte Industriedesign, Philosophie und Produktmarketing in Berlin, London und Paris. Nach beruflichen Stationen in den Bereichen Designmanagement und Hochschultransfer wechselte er 1997 zur Deutschen Bahn AG. Dort war er für die Markenführung im Konzern sowie für die Implementierung verschiedener Corporate Design Prozesse verantwortlich.
Kupetz war Mitglied im Fachbeirat des Design Management Institute Boston. Ab 2011 gehörte er dem Hochschulrat der HfG Offenbach am Main an. Im selben Jahr wurde er von der Europäischen Kommission in das European Design Leadership Board berufen. Er ist verheiratet und hat drei Söhne.

Annemarie Jaeggi: Günter Kupetz und die WMF (1954-1961)

Die Nachkriegsjahre der WMF. Zunächst geprägt durch das Sortiment der 20er und 30er Jahre.

Als Günter Kupetz am 1. April 1954 bei der Württembergischen Metallwarenfabrik in Geislingen/Steige begann, befand sich das Unternehmen erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in einem wirtschaftlichen Aufwärtstrend. Nach mühsamen Jahren des Trittfassens in einer armen Zeit, die zwar eine rege Nachfrage, aber noch keinen nennenswerten Konsum von alltäglichem Tischgerät kannte, wollte die WMF nun ihr Sortiment mit einem jungen, deutlich seine Zeit zum Ausdruck bringenden Angebot erweitern, um eine neue Generation von Kunden an sich zu binden. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren knüpfte man in der WMF noch an das Vorhandene an, nutzte die erhaltenen Werkzeuge und das gut bestückte Materiallager, um die Produktion so nahtlos wie möglich wieder aufzunehmen. Auch konnte von einem Geschmackwandel nicht die Rede sein, denn ungebrochen verkaufte sich das gut eingeführte Sortiment der 1920er und 30er Jahre, das eine bürgerliche, verhalten historisierende Haltung zeigte – wie etwa die überwiegend von Kurt Mayer entworfenen Bestecke, die zum Teil noch bis in die 1980er Jahre hergestellt wurden und das wirtschaftliche Fundament des Unternehmens bildeten.

Wilhelm Wagenfeld wird 1949 künstlerischer Leiter mit Atelier bei der WMF.

Als mit der Wirtschaftsreform 1948 der Markt in Schwung kam, suchte die WMF nach neuen Gestaltern. In Wilhelm Wagenfeld fand sie den zweifelsohne bedeutendsten Deutschlands, der die sachliche Haltung einer aus der Funktion des Gegenstands gewonnenen und dem industriellen Herstellungsprozess gemäßen Form vertrat.  Als ausgebildeter Silberschmied, der am Bauhaus in Weimar studierte und sowohl im Bereich der Glas- wie auch der keramischen Industrie eine moderne Richtung durch die nationalsozialistischen Jahre hindurch aufrechterhalten konnte, verfügte er wie kaum ein anderer über eine breite Erfahrung als Gestalter in allen Produktionssparten der WMF. Der 1949 mit Wagenfeld abgeschlossene Vertrag beruft ihn zum künstlerischen Leiter für den Sektor der Qualitätserzeugnisse mit eigenem Atelier in der WMF. Doch vorerst werden, zum Verdruss von Wagenfeld, überwiegend seine Entwürfe für Glaserzeugnisse umgesetzt, während diejenigen für Metallgegenstände von der betriebsinternen Kommission für Neuheiten zurückgestellt oder gar abgelehnt werden. Grund dafür sind ökonomische Gesichtspunkte, denn die Fertigung der für die Herstellung von Glasgegenständen benötigten Holzmodelle bedeutet einen weitaus geringeren investiven Aufwand als das teure Werkzeug für die Produktion von Metallwaren. Hinzu kommt aber auch, dass die Konsumenten in Deutschland diese Art formal reduzierten, unauffällig schönen und zeitlosen Gebrauchsguts in der Nachfolge des Bauhauses keinesfalls mehrheitlich schätzen, was sich deutlich in den Verkaufszahlen widerspiegelt.

Die berühmten Metallarbeiten Wagenfelds für die WMF, die dem Unternehmen einen großen Erfolg bescheren sollten und Designgeschichte geschrieben haben, fanden vor allem durch den amerikanischen Partner der WMF, Gordon Fraser, Unterstützung. Sein untrügliches Gespür für den US-amerikanischen Markt, die dortige Vorliebe für alles Praktische und Rationale sowie das Fehlen einer bürgerlich-traditionellen Tischkultur europäischen Zuschnitts erleichterte die Einführung moderner Formen und des Materials Cromargan. Während man in den USA mit WMF eine zeitgemäße Sachlichkeit verband und hier auch mit dem Namen Professor Wagenfelds warb, stellten diese Produkte in Deutschland nur ein schmales Segment innerhalb der breiten Produktpalette der Firma dar. Augenfällig wird das durchaus ambivalente Verhalten gegenüber Wagenfeld in der Präsentation eines Musterschaufensters anlässlich des 100. Geburtstags der WMF im Jahr 1953. Hier stehen seine zeitlos-formvollendeten Modelle in einer modisch-bunten Kulisse aus geschwungenen Nierentisch-Stellagen, hinterlegt mit asymmetrisch verlaufendem Stabwerk und überfangen von einer perforierten Plafondscheibe. An der Rückwand hängt ein Plakat mit der Aufschrift »Good Design / WMF / Professor Wagenfeld«, was auf sein internationales, vor allem amerikanisches Renommee verweist.

Das Wort »Design« nimmt Einzug im deutsche Sprachgebrauch. Wagenfeld hielt nichts davon.

Das im deutschen Sprachgebrauch zunehmend sich einbürgernde Wort ›Design‹ war im übrigen ein Begriff, von dem Wagenfeld nichts hielt. Er bezeichnete sich als industrieller Formgestalter und lehnte auch die Mitgliedschaft im Verband der deutschen Industrie Designer (VDID) ab, den Kupetz 1959 mitbegründete. Wagenfeld lockerte 1953 konsequenterweise sein Arbeitsverhältnis mit der WMF und eröffnete im folgenden Jahr eine eigene Werkstatt in Stuttgart. In Geislingen behielt er zwar sein Atelier bei, war dort aber als externer  Mitarbeiter nur noch unregelmäßig anwesend. Nun begann die WMF nach einem jungen Talent Ausschau zu halten, das möglicherweise auch zum Nachfolger des mittlerweile seit 25 Jahren im Betrieb tätigen Kurt Mayer als Leiter des künstlerischen Ateliers aufgebaut werden könnte. Per Inserat fiel die Wahl auf den 28jährigen Bildhauer Günter Kupetz, der in Berlin gerade erste Ausstellungserfolge mit seinen plastischen Arbeiten errang. Es spricht für den Mut und den Innovationswillen von Kurt Mayer, dass er einen im Bereich der industriellen Formgebung noch unversierten Künstler – vorerst für ein halbes Jahr – nach Geislingen holte und ihm die Möglichkeit bot, sich in ein neues Tätigkeitsfeld einzuarbeiten.

Der junge Bildhauer Günter Kupetz wird 1954 als Nachwuchstalent zur WMF geholt.

In dieser Probezeit machte sich Kupetz mit dem Material des Metallblechs und der Fertigungstechnik der Hohlwarenproduktion vertraut. Ganz im Gegensatz zu Wagenfeld, der als Zeichner über das Handwerk des Silberschmieds zum Beruf des Formgestalters für die Industrie kam, näherte sich Kupetz als Bildhauer der gestellten Aufgabe. Durch Biegen, Knicken, Falzen, Schneiden und Löten der Bleche testete er zuerst die Möglichkeiten des Materials. Bald experimentierte er auch mit Metallstäben und Draht. Aus Messingblech entstehen Schalen und kleinere Gefäße als erste Versuche, die seinerseits noch keineswegs für die Produktion gedacht waren: asymmetrische Formen, die bildhafte Assoziationen wecken und der aktuellen Nachfrage nach tischgerechten Behältnissen für Salzletten, Bretzeln und Nüssen entsprechen.

Kupetz‘ Modelle treffen »frisch und unkonventionell« den Nerv der Zeit, »ohne augefallen, ohne dotrinär zu sein«.

Aus unterschiedlichen Inspirationsquellen bezieht Günter Kupetz dabei seine Ideen. Die an abstrakte Drahtskulpturen erinnernden Bretzelständer, Schalen auf hohen Ständern und Stehascher aus Metalldraht verweisen einerseits auf zeitgenössische Bildhauer wie Reg Butler, zeigen aber auch Zusammenhänge mit den schwebend leichten Möbeln und Einrichtungsgegenständen aus dünnstem Stahlrohr wie sie etwa Helmut Magg in diesen Jahren für die Deutschen Werkstätten entwirft. Plastische Qualitäten zeichnen dagegen die organischen Orchideenvasen aus Glas aus, in denen Kupetz die sinnlichen Frauentorsi seiner Berliner Skulpturen paraphrasiert. Schließlich lieferten organische Formen des skandinavischen Designs, das Kupetz bei verschiedenen Reisen nach Dänemark in den frühen 1950er Jahren bereits kennen lernte, Anregungen. Timo Sarpaneva, Henning Koppel und Tapio Wirkkala wären hier beispielsweise zu nennen. Bei den Handelsvertretern und Leitern der WMF-Filialen, deren kundennahes Urteil als Gradmesser für den aktuellen Publikumsgeschmack galt, riefen diese ersten Arbeiten von Kupetz große Begeisterung hervor. Hier traf ein junger Gestalter den Nerv der Zeit! Und die Umsatzzahlen der ab 1955 produzierten Waren nach seinen Entwürfen sollten diese Einschätzung bestätigen. Kupetz hatte damit seinen Platz innerhalb der WMF gefunden – als »frisch und unkonventionell (…), apart, ohne ausgefallen und modern, ohne doktrinär zu sein«, charakterisiert man seine Modelle in einer hauseigenen Werbebroschüre von 1958. Neben Kurt Mayer, der für die Kontinuität und Tradition des Unternehmens stand, und Wilhelm Wagenfeld, dessen zeitlose Modernität vor allem international große Anerkennung genoss, vertrat Günter Kupetz die Aufbruchstimmung der jungen deutschen Nachkriegsgeneration.

About Annemarie Jaeggi

Dr. Annemarie Jaeggi (*1956), Kunsthistorikerin und Kuratorin, ist seit April 2003 Direktorin und geschäftsführendes Vorstandsmitglied Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin sowie Privatdozentin am Institut für Kunstgeschichte der TU Berlin.

Humorvolle Karikaturenvon Kupetz  für die firmeneigene WMF Zeitschrift.

Die durch seine Entwürfe hervorgerufene Irritation bei etablierten Kundenkreisen brachte er humorvoll in Karikaturen für die firmeneigene Zeitschrift auf den Punkt. Dem Erfahrungsschatz des ersten experimentellen Halbjahrs bei der WMF verdanken auch einige der nachfolgend hergestellten Gegenstände von Günter Kupetz ihre formale Herkunft. Darunter das Kinderbesteck von 1954/55 mit dem charakteristischen Knick im Stiel von Messer, Gabel und Löffel, der zur Festigkeit des Materials beiträgt. Desgleichen die schwebend leichten Platten und flachen eleganten Schalen, die ab 1956 in Produktion gingen und Stabilität durch die fließend hochgezogenen Ränder erhalten. Keines dieser Objekte verleugnet seine Herkunft aus dem Grundmaterial – dem Metallblech. Ganz im Gegenteil: ihre überzeugend einfache Form scheint sogar auf die mit wenigen Arbeitsschritten und Werkzeugen erfolgte Fertigung zu verweisen.

Die Unterschiede der Entwürfe von Kupetz und Wagenfeld: Maschinelle Voraussetzungen des Materials vs. handwerklich entwickelte Modelle.

Hierin liegt sicher einer der Hauptunterschiede in der äußeren Erscheinung der Entwürfe von Kupetz und Wagenfeld, aber auch in der Arbeitsweise. Während Kupetz stärker vom Material, den maschinellen Voraussetzungen und der Effizienz in der Produktion auszugehen scheint und dadurch den Charakter der Flach- und Hohlware betont, wirken viele Arbeiten von Wagenfeld eher wie handwerklich entwickelte Modelle für die Serienherstellung. Das trifft insbesondere auf die metallenen Gefäßformen wie Gebäckdosen, Teedosen, Hotelgeschirr, Suppenschüsseln, Saucieren und Becher zu, die vor allem in der versilberten Ausführung nicht wie Fabrikware aussehen, während sich Kupetz überwiegend auf Cromargan beschränkt. Eine Erklärung hierfür mag auch darin zu finden sein, dass einige der Metallentwürfe von Wagenfeld für die WMF Weiterentwicklungen früherer Arbeiten aus Keramik oder Glas darstellen und ihre Ausgangsform diesem anderen Material zu verdanken haben.

Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden für die WMF tätigen Entwerfern ist in der Berücksichtigung von Dekoren zu finden, die Wagenfeld nur widerwillig und in seltenen Fällen zuließ. Kupetz experimentierte in der frühen Zeit bei der WMF mit Salmiakfärbungen auf Messinggegenständen und unregelmäßigen Lochungen, integrierte ab den 1960er Jahren auch Ätzdekore nach Entwurf seiner Frau Sigrid Kupetz und entwickelte mit ihr ein Pressglas, das ein lebhaftes Kerbmuster aufwies. Es kam für Glaseinsätze zur Ausführung, die er mit seinen schlichten Cromargantellern kombinierte, oder für ein Whiskey-Set – aus Eiseimer, Damen- und Herrenbechern bestehend –, das eine gewisse Berühmtheit erlangte, weil Louis Armstrong es für das Beste der Welt hielt.

Nach der WMF: Kupetz gründet 1962 ein eigenes Atelier und lehrt in Kassel und Berlin das neue Fach »Industrial Design«.

1961 verließ Kupetz – wie vor ihm bereits Wagenfeld – die WMF aus Enttäuschung, da viele seiner Entwürfe von der Kommission für Neuheiten abgelehnt wurden. Zu seiner Verärgerung verkaufte man außerdem seine auf kostengünstige Herzustellung konzipierten Modelle nicht billiger, sondern glich sie dem hohen Preisniveau der WMF an. Nach der Gründung eines eigenen Ateliers in Stuttgart zog es Kupetz 1962 an die Werkkunstschule Kassel, wo er bis 1973 Industrial Design lehrte. Während dieser Zeit blieb er der WMF als freier Gestalter verbunden und prägte vor allem mit Materialkombinationen im Bereich der Hohl- und Glaswaren das Sortiment der 1960er Jahre.

Florian Hufnagel: Günter Kupetz oder der Beginn des Industrial Design in Deutschland

Anonymes Alltagsdesign.

Am 14. Januar 2006 fanden sich im Internet mit der Suchmaschine Google für den Begriff Design 1,3 Milliarden (1.300.000.000) Hinweise; zu dem soeben 80jährig gewordenen Industrial Designer Günter Kupetz gab es exakt 546 Einträge. Und noch eine weitere, wenn auch fiktive Statistik ist aufschlussreich; denn Günter Kupetz steht mit einem von ihm gestalteten Produkt absolut einsam an der Spitze der Rekord-Auflagenhöhe aller jemals in Deutschland entworfenen Objekte – ein Produkt, das zwar jeder kennt, aber von fast niemandem seinem Gestalter zugeordnet werden kann: die Glasflasche der deutschen Mineralbrunnen. Das ist bezeichnend für das  Schaffen von Günter Kupetz, dessen umfangreiches Werk als anonymes ›Alltagsdesign‹ charakterisiert werden kann. Und dabei ist diese Formulierung weder geringschätzig noch abwertend gemeint. Nicht einmal die Abbildung seiner Mineralwasserflasche auf einer Briefmarke der Deutschen Post konnte an dieser Anonymität etwas ändern, und dabei ist eine größere Nobilitierung kaum vorstellbar. Das Schicksal relativer Anonymität des gestalterischen Schaffens für die Industrie in der jungen Bundesrepublik teilt Kupetz mit seinen Kollegen Hans Theo Baumann, Karl Dittert, Peter Raacke, Rainer Schütze, Hans Erich Slany und Arno Votteler, die sich 1959 als Gründungsmitglieder des VDID, d.h. des Verbandes Deutscher Industriedesigner zusammenfanden, zu denen etwas später auch Herbert Hirche stieß.

 

Branding, Werksentwurf und alte Meister.

Analog zu Architektur und Freier Kunst waren es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst die ›alten Meister‹ des im Dritten Reich verfemten Bauhauses, denen die öffentliche Wahrnehmung galt, allen voran Max Bill und Wilhelm Wagenfeld. Hinzu kamen die Stilimporte aus den Vereinigten Staaten, wie etwa Harry Bertoia, Raymond Loewy, Eero Saarinen und Ray und Charles Eames, aber auch die Skandinavier mit Alvar Aalto oder Arne Jacobsen. Sie alle standen für die neue, offene, internationale, demokratische Gesellschaft. Der Begriff des ›branding‹ war in Deutschland noch unbekannt, ebenso die Heroisierung des Design mit Stars und Superstars. Noch bis Anfang der 1980er Jahre hieß die offizielle Verlautbarung der Firmen, was die Gestaltung betraf, meist ›Werksentwurf‹, sieht man einmal vom Sonderfall Luigi Colani ab.

 

Die künstlersiche Prägung.

Es ist auffällig, dass sechs der acht Gründungsmitglieder des VDID – wie die ›alten Meister‹ aus der Vorkriegszeit – vorwiegend eine rein künstlerische, nicht industriell geprägte Ausbildung haben.

Bei Herbert Hirche (1910 Görlitz – 2002 Heidelberg), dem ältesten der Gruppe, ist es nicht verwunderlich, dass er als Bauhausschüler unter anderem bei Albers, Kandinski und Hilbersheimer studierte.

Karl Dittert (geb. 1915 Mährisch-Trübau), der seit den 1970er Jahren vor allem durch seine System-Entwürfe für Büroarbeitsplätze bekannt wurde, begann seine Ausbildung mit einem Praktikum in einer Silber- und Metallwarenfabrik, ehe er bei Arno Breker (!) an der Berliner Hochschule für bildende Künste Bildhauerei studierte, um nach dem Krieg in Schwäbisch Gmünd in die Gold- und Silberschmiedeklasse der Staatlichen Fachschule für das Edelmetallgewerbe einzutreten.

Aber auch Hans Theo Baumann (geb. 1924 Basel) begann zunächst mit einer Lehre als Textildessinateur und legte darin 1942 seine Gesellenprüfung ab. Als Soldat in Dresden stationiert, besuchte Baumann nebenbei die Malerei- und Bildhauerklasse an der Akademie der bildenden Künste – ein Studium, das er in den gleichen Fächern nach dem Krieg an der Gewerbeschule Basel weiterführte; parallel dazu absolvierte er eine Lehre als Glasmaler.

Und mit Rainer Schütze (1925 Heidelberg – 1989) war sogar ein Musikinstrumentenbauer unter den Gründern des Verbandes Deutscher Industriedesigner.

Peter Raacke (geb. 1928 Hanau) ist wie Max Bill gelernter Goldschmied und studierte 1950 dank eines Stipendiums an der Ecole des Beaux- Arts in Paris.

Das unbekannte Berufsbild des Industrial Designers.

Auch Günter Kupetz beginnt wie die meisten der VDID-Gründer nach handwerklicher Vorprägung mit einer künstlerischen Ausbildung. War es zunächst Graphik und Architektur in Weißensee, so wechselte Kupetz bald zur Bildhauerei an die Hochschule für bildende Künste in Berlin und wurde Meisterschüler des Bildhauers Bernhard Heiliger, ehe er 1954 die Nachfolge von Wilhelm Wagenfeld bei der WMF in Geislingen antrat. Und damit ist auch gleich das Spannungsfeld im OEuvre von Günter Kupetz und seinen Gründungskollegen im VDID angesprochen – und das Faszinierende daran: Analog zur Entwicklung der jungen Bundesrepublik, vor dem Hintergrund ihrer sich rasch wandelnden ökonomischen und gesellschaftlichen Struktur vollzieht Kupetz den Schritt vom Künstler über das Ringen um eine zeitgemäße, ›moderne‹ Industrieform hin zu einem bis dahin unbekannten Berufsbild, dem des Industrial Designers. Diesem neuen Berufsbild ist Kupetz, wiederum wie seine Kollegen aus der Gründerzeit des VDID, zweifach verbunden – sowohl als praktisch tätiger Designer wie auch später als Lehrender – und gibt ihm sein eigenes Profil. Dieser Lebensweg ist in den Augen der Öffentlichkeit naturgemäß weniger spektakulär als derjenige der gestaltenden Architekten der Bauhaus-Ära oder des ›Künstlers in der Industrie‹ – ein Typus, wie ihn etwa Max Bill und, vor allem, Wilhelm Wagenfeld vertraten.

Wenige, exemplarisch ausgesuchte Produkte dieser Gestalter prägen das Bild der ›Guten Form‹ bis zum heutigen Tag: Max Bills Küchenuhr für Junghans – eigentlich ein ›graphisches Re-Design‹ – und Wilhelm Wagenfelds Salz- und Pfefferstreuer ›Max und Moritz‹ für die WMF sind zu Design-Ikonen der jungen Bundesrepublik geworden: Produkte, die wir heute dem No-tech, allenfalls dem Low-tech, aber keinesfalls dem High-tech-Bereich zuordnen würden. Aber es waren gerade derartige typische Gebrauchsgüter, wie Hausgeräte und Möbel, nach denen in der Nachkriegszeit notgedrungen große Nachfrage bestand. Darüber hinaus konnte man damit erstmals seine geistige Haltung, wenn auch nur im privaten Bereich zur Schau stellen.

Die jungen Designer mussten ihr Berufsfeld erst sukzessiv erobern, und Günter Kupetz ist einer der  Protagonisten. Klimmzüge und Spagatübungen sind dabei unweigerlich Voraussetzungin seinem Bemühen, einen verantwortungsvollen methodischen Weg als Industrial Designer aufzuzeigen. Entsprechend groß war das Interesse an fertigungstechnischen Problemen – nicht nur bei der manufakturiellen Herstellung, sondern vor allem bei der industriellen Massenproduktion. Das hatte zwangsläufig Folgen, und erst recht, wenn man, wie Kupetz es einmal ausgedrückt hat, wollte, »daß meine Sachen unter die Leute kommen.« Christian Marquardt bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: Man »mußte sich ein wenig kompromißbereiter zeigen als die vom Bauhaus geprägten Wächter der ›Guten Form‹ und die Optimierungsspezialisten der Ulmer Hochschule für  Gestaltung. Trotzdem brauchte sich niemand, der es nicht wollte, auf eine Karriere als ›Stylist‹ einzulassen; man konnte auch prinzipientreu im Sinne werkbündischen Denkens bleiben und doch – wie Karl Dittert es  formulierte – der Meinung sein, die Welt sei etwas bunter, als es einige der Bauhäusler und die Dozenten der Ulmer HfG zulassen wollten.«

Kulturpolitik des schlechten Gewissens.

Die Schwierigkeiten dieses Weges sind für uns heute kaum mehr nachvollziehbar. 1956 wurde Kupetz Mitglied im Deutschen Werkbund Berlin. Wilhelm Wagenfeld trat Mitte der fünfziger Jahre aus dem Werkbund aus und widersetzte sich allen Versuchen, ihn erneut als Mitglied zu gewinnen. Max Bill verließ 1957 im Streit mit Otl Aicher die Hochschule für Gestaltung Ulm. Und genau in dieser Zeit, 1957, am Rande des vom Rat für Formgebung in Darmstadt veranstalteten 1. Internationalen Kongresses für Formgebung, begann Kupetz die ersten, noch informellen Gespräche zu einem beruflichen Leitbild für Industriedesigner, die 1958 während der Brüsseler Weltausstellung fortgeführt wurden. Aber ohne Werkbund und Rat für Formgebung ging nichts. 1958, in Brüssel, lehnte der Vorsitzende des Deutschen Werkbundes, Professor Hans Schwippert, es noch ab, Vorschläge für Ausbildungsrichtlinien oder Leitlinien für ein Berufsbild zu erarbeiten.

Die Bedenken der Mia Seeger.

Auch die Generalsekretärin des Rates für Formgebung, Mia Seeger, hatte offenbar Bedenken wegen der noch fehlenden internationalen Reputation der jungen Designer, da es »mit Befremden in ausländischen Kreisen vermerkt werden (würde), wenn die Star-Designer [sic!] sich nicht dem Verband anschließen würden.« Ein Paradebeispiel für die von Walter Grasskamp bei seiner Darlegung zum Thema Dogma der Moderne angesprochene ›Kulturpolitik des schlechten Gewissens‹. So zeugt die am 5. August 1959 in Stuttgart vollzogene Gründung des VDID unter anderem auch vom Willen und der Fähigkeit, einen für richtig erkannten Weg konsequent zu Ende zu gehen.

Das neu konstitutierte Berufsbild des Industrail Designers in die Lehre übertragen.

Unter dem Blickwinkel des eigenständigen Berufsbildes betrachtet, ist es nur folgerichtig, dass Kupetz nach einer zweijährigen Tätigkeit als freier Designer 1962 die Chance ergriff, an der Werkkunstschule Kassel die neu gegründete Lehrabteilung Industrial Design aufzubauen, und damit auch das soeben konstituierte Berufsbild in die Lehre zu übertragen. Bekannt als engagierter und streitbarer Kämpfer, entwickelte er einen durch Veröffentlichungen untermauerten, eigenständigen Weg, nicht zuletzt auch in Abgrenzung zur Ulmer Schule. Er kämpfte erfolgreich um die Evaluierung der Werkkunstschule, die 1971 zur Gründung einer Hochschule für Kunst und Design führte. Und nach Schließung der HfG Ulm war es eben diese Gesamthochschule Kassel, die mit ihren Dozenten und ihren Alumni wesentlich das deutsche Design der 1970er und 1980er Jahre prägte. 1974 ging Kupetz in der Nachfolge von Wilhelm Braun-Feldweg als Professor für Produktdesign an die Hochschule der Künste nach Berlin, wo er bis zu seiner Emeritierung 1991 lehrte und selbstverständlich, parallel dazu, als Designer für die Industrie tätig war.

Kupetz hat entscheidende Beiträge sowohl als Entwerfer wie als Lehrer zum deutschen Design geliefert – aber stets diskret in sehr zurückhaltender Weise. Und vielleicht sind neben der Mineralwasserflasche seine Arbeiten für den Laborgeräte- und Klinikbedarf-Hersteller B. Braun Melsungen für Günter Kupetz am meisten charakteristisch: Entsprechend der gestellten Aufgabe sind sie zwangsläufig streng funktional und folgen den Gesetzen der Ergonomie, …für die meisten Menschen zwar anonym, aber zugleich aufs trefflichste zu Diensten.

About Florian Hufnagel

Florian  Hufnagl (*1948  – 2019) war Kunsthistoriker und Designhistoriker. Von 1998 bis 2013 war er Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Staatlichen Museen und Sammlungen in Bayern. Er lehrte Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts am Institut für Kunstgeschichte der Universität München und ist seit 1997 Honorarprofessor an der Akademie der Bildenden Künstein München.